Kranksein in Zeiten von H7N5

 

 

So ein bisschen Hals und nicht-abhusten-können ist ja ein Klacks für einen gesundheitsbewußten Familienmenschen. Gelomyrtol, Sinupret, Dampf mit einer selbst zusammengestellten ätherischen Ölmischung, Thymian, Salbei, Pfefferminz, Seidentuch, Kräutertee, mehr kann man doch nicht machen, oder? Denn wenn das nach 14 Tagen keine Abhilfe schafft muß es ja etwas ganz Schlimmes sein, oder?

Ich bin krank, im Sinne von, frieren am Schreibtisch, Schweißausbrüche beim fegen und waschen, frösteln beim Anblick von bloßen Armen bei 28° Frühlingswetter. Und diese lähmende Müdigkeit nach dem Frühstück auf dem Markt beim Obst kaufen. Und dieser Grusel beim Gedanken an eine Metrofahrt mit anschließender Bushaltestellensuche. „Mal richtig abrotzen, wie die Chinesen“, bekomme ich den guten Tip. Ja, gerne. Aber können vor lachen. 3 Uhr nachts koche ich Wasser zum inhalieren und trinke heißen Tee für ein bisschen Erleichterung.

Am 13.Tag fühle ich mich fiebrig und sehe kalkig grau kantig aus.

Mein medizinischer Berater ist 250 km entfernt. Ich muß eine einsame Entscheidung treffen und sie ausführen.  Mit Mars in der Waage eine ausgesprochen schreckliche Vorstellung und  mir eigentlich unmöglich, undenkbar. Wen soll ich um eine Empfehlung anrufen? Oder die Liste im Internet durchsehen und aus 10 Möglichkeiten selber entscheiden? Jemanden bitten mich zu begleiten? Das muss ich doch alles abwägen und dann etwas unternehmen. Wie aufwendig.

Aber ich kann nicht abhusten. Alles ist so fest. Ich denke an den Entwicklungshelfer in Nepal, der in seinem zweiten Monat im Land, im „family stay“ , im Dorf in den Bergen sich nicht ins Hospital traute, aus Angst er würde wieder nach Deutschland geschickt werden. Er hatte eine vereiterte Lunge und die rechte funktionierte auch nicht mehr ganz. Seine Gastfamilie hat ihn dann Hucke-pack runter nach Pokhara gebracht. Nachmittags haben wir noch mit ihm im Hospital auf den Flieger gewartet, der dann abgesagt werden musste, Monsunzeit, nachts ist er gestorben.

Ich muß sofort mein Blut untersuchen lassen und mit einem Arzt sprechen. Ich rufe die Leiterin des International Ladies Club an. Sie ist 5 Jahre im Land. Sie gibt mich sofort an ihren Besuch weiter, die gerade gute Erfahrungen mit einem Englisch sprechenden Arzt gemacht hat. Die Handynummer hat nur eine Ansage, dass die Nummer außer Dienst ist. Ich muß noch einmal bei den Frauen anrufen. Wie peinlich. Vielleicht habe ich mich ja nur verwählt. In meiner Angst wachse ich über mich hinaus und zögere nicht länger unverzüglich noch einmal nachzufragen. Ich bekomme ohne langes Gerede sofort eine zweite Mobilnummer des Arztes diktiert. Alles ist auf einmal ganz einfach und klar, was ich zu tun habe. Ich stehe auf einer Welle, die mich weiter trägt.

Endlich ein Freizeichen.

 Alle Chinesen geben sich die unsäglichsten Englischen Vornamen, wie z.B. Joy, oder Happy, oder Snow, oder IPhone, mit denen man sie dann anreden muß. Mit einem Mr. oder Mrs. oder Dr. davor, versuche ich ein wenig Ernsthaftigkeit in die Anrede zu bringen. Dieser Arzt heißt Jerry. Dr. Jerry ist sofort präsent, spricht fließend Englisch und sagt ich soll heute Nachmittag in das Hospital kommen. Wegen des Vogelgrippenvirus muss das sofort abgeklärt werden. Dachte ich mir schon. Geht es auch gleich. Ja, bis 11 Uhr.

Jetzt muss ich nur noch bei Googel Map das Hospital finden und wie ich mit Metro und Bus dort hinkomme. Der Arzt wusste es nicht genau. Wahrscheinlich der 400er.

Ja stimmt. Der 400er. Aber finde ich die Haltestelle wo einsteigen und wo aussteigen? Taxi wär gut. Aber ich hab keine Adresse. Den Namen hab ich auch nur was vom Anfang verstanden. LI, LÜ, Lei oder so in der Richtung. Eher Lü. Das klär ich während der Metrofahrt. Jetzt erstmal los. 

Auf dem Weg zur Metro steigt ein Fahrgast aus einem Taxi. Ich drücke schnell Dr. Jerrys Nummer und bitte ihn dem Taxifahrer die Adresse zu sagen. Der Taxifahrer lacht und nickt und legt auf und ruft seinen Bruder an. Langsam fährt er los, hält wieder an, fährt. Während der gesamten Strecke lässt er sich von seinem Bruder durch die Freisprechanlage seines Mobiles lotsen und lacht mich an und sagt Sorry. Als Chinesin füge ich mich ohne jeden Widerstand in die nun mal von mir herbeigeführte Situation und mache keinen Stress und lächle ihn beruhigend an. Wir beruhigen uns gegenseitig dass alles in Ordnung ist und es kütt wie es kütt. Also es ist schon klar, dass von 11 Uhr Ankunft keine Rede mehr sein kann. Wir stehen auch alle naselang im stockendem Verkehr fest.

½ 12 fährt er vor den Eingang des Lü li la-lHospitals. Freitreppe. Drinnen verschiedene Abteilungen hinter Glas. Labor, Western Medicine Pharmacy, TCM Pharmacy, Cashier, Information. Dort halten drei Frauen mir ein Formular hin und wissen, dass ich zu Dr. Jerry möchte. Eine Frau ist nicht im weißen Kittel, sondern einem lila Kostüm. Sie sieht aus wie eine kostbare Pralinenschachtel. Sie führt mich zu dem Arztzimmer. Es ist ein anderer Arzt, der mich behandeln wird.

Dr. Peter.