
Am arbeitsfreien Samstag machen wir einen Ausflug mit der Dolmetscherin und dem Fahrer.
Sie freuen sich beide mindestens sosehr darauf wie wir. Das merkt man wie sie vorbereitet sind mit Tüte voller Litschis und Tüte für die Schalen, Keksen, Wasserflaschen.
Das Land ist überbordend von Grün. Überall wird gehackt, gezupft, neue Pflanzen gesetzt.
Das ganze vor der Kulisse von drei farb- und lichtgestaffelten Bergketten, die komplett mit niedrig wachsenden Baumsorten bewachsen sind. Mandarinen , soviel ich verstehe.

Es ist diesig. Alles dampft und tropft und wächst wo es nur Platz zum hin wachsen hat.
Das erinnert mich an die Ein- Kind- Politik. Das Land ist groß. Die Dolmetscherin ist Jahrgang `84. Am ersten Abend fragten wir sie wie viel Geschwister sie hätte, als sie von ihren Onkeln und Tanten, den Geschwistern ihrer Eltern erzählt. Keine, ach so, ja, ihr habt ja die „Ein Kind“ Politik. Meine Eltern wollten das so. Nur ein Kind. Mit Politik hat das nichts zu tun, sagt sie mit leichtem Alarm in der Stimme. Sie ist Parteimitglied. Einfach eintreten kann man da ja nicht. Im Sinne von „Wer weiß wozu es noch mal gut ist.

Wie seinerzeit mein Großvater in die NSDAP eintrat und sich offen, als „Märzhase“ bezeichnete, also ´33, gleich nach der Wahl. Obwohl hoffnungslos rückwärtsgewandt Kaisertreu, sich dadurch wirtschaftlichen Vorteil erhoffend, nachdem die Weimarer Republik mit ihren gebildeten, studierten Politikern nicht in sein Weltbild passen wollten und am Ende die als Vertreter sauer zusammengesparten Spesen auch noch futsch waren.

In die kommunistische Partei wird man berufen, auserwählt, wie wir „Jugendlicher in den Siebzigern“ mit lebhaftem Interesse an kleinen K-Gruppen noch gut erinnern. Die Partei kommt auf dich zu. Am nächsten Tag, Sonntag, treffe ich eine Lehrerin. Sie ist schwanger. Beim vorstellen wird mir das sofort als erstes von ihrem Mann mitgeteilt. Sie ergänzt “Und dies wird das einzige Kind sein dass ich je haben werde“. Und wenn du ein zweites bekommst. „Dann verlieren wir unsere Jobs.“ Ihr Mann ist auch Lehrer.
Da warten schon welche, die auch gerne einen Staatsposten hätten und nicht auf dem Markt den zehnten Stand für Kleiderbügel aufmachen wollen.
Wie beeinflusst das die Partnersuche. Die Erziehung der Kinder. Erheblich denke ich mal.
Eine Frau bekommt einmal ein Kind mit einem Mann. Die Männer können auch Väter von Kindern mit verschiedenen Müttern sein. Es gibt kryptische Konstellationen. Der Kult um die Hochzeitsfeierlichkeiten ist gigantisch. Seit einiger Zeit gibt es eine Modifizierung des Gesetzes, das ein Kind vorschreibt, bei Wiederverheiratung z.B.



Die Kinder sind was ich so sehe, locker und übermütig die einen, nachdenklich die anderen, wie bei uns. Meistens in Gruppen. Als Schuluniform habe ich nur Jogginganzüge gesehen.
Am ersten Tag der Ferien haben die Mädchen ihre hübsch, hübscher, am hübschesten Kleider an. Die älteren Jungs waren beim Friseur und haben jetzt rote und blonde Haare. Die drei Grenzgänger der Klasse jedenfalls. Manche der Middle School Absolventen, ca 17 Jahre alt, jobben in den shops und tragen wieder Uniform.
Einmal ist so ein kleiner Klugscheißer, Jogginganzug rot, gelb, wie ein Verrückter hinter uns hergeradelt und hat uns richtig gehend zur Rede gestellt. Als ob wir auf einem Parteitag Rechenschaft abgeben müssten. Was unser Tun in China ist, warum wir hier sind, wo wir hin wollten, jetzt und fürderhin. Ohne Lächeln, seine Augen glitzerten uns eiskalt an, hinter ihm seine kleine Freundin mit verschränkten Armen. Emil und die Detektive spielen, nur hier immer im Auftrag und zum Wohle der Partei. Er war so 12-14. Wir haben das Hohe Lied vom unermesslich großen und schönen China gesungen, sein Englisch gelobt und uns für sein Interesse an uns armen Ausländern aus einem kleinen, unbedeutenden Land bedankt. Und Tschüss und schnell weg. Die haben echt noch mit ihren Fahrrädern dagestanden und uns hinterher geguckt als ob gerade ein besonders perfider Fall von Staatsspionage von ihnen verhindert wurde. „Sei immer wachsam kleiner Staatsbürger“, oder so.
Wo morgens sportives und abends turbulentes Freizeittreiben herrscht, ein kleiner Vergnügungspark mit kleinem Riesenrad und Rollschuhbahn. Voll mit Jugendlichen, ist es dort.
Tagsüber menschenleer. Aber abends die ganze Woche über Ausgehstimmung. Wenn man auf der Fußgängerbrücke steht, oder auf einer der Bänke ,zu Karees mit Günpflanzen als Sichtschutz angeordnet, sitzt, kann man auch TV gucken. Auf einer riesigen public viewing screen läuft munter ein Sender des Staatsfernsehen mit Berichten, Galas und Werbung. Keine Soaps oder Spielfilme. Ich bin übrigens schon mal von CCV interviewed worden. Mitte Januar bei strahlendem Sonnenschein in Prag, auf der Karlsbrücke. Ein total enthusiastischer Chinese, älter, mit Frau, Kamera auf Stativ, verschiedenen Puschelmikros wollte ein längeres Interview mit Augen in grellste Sonne zu Tourismus und ob wir auch „packages“ gebucht hätten. Und auf chinesisch “Happy New Year“ in die Kamera winke, winke machen. Hab ich alles mehrmals gemacht. Hab mich richtig ins Zeug gelegt. Wollte unbedingt in das chinesische Fernsehen kommen.

Eine Beitragsart im Abendprogramm kennen wir schon aus Nepal. Nämlich die im Fernsehen bekannt gegebenen Daten und Bilder von Verurteilten durchlaufen zu lassen. Waren es in Nepal richtige Filmsequenzen in der der Verurteilte vor dem Knast stand und in die Kamera lächelte, oder auch nicht und aus dem off alle Eckdaten gesprochen wurden, sind es hier Standbilder mit einem kleinem Foto und Text wie auf einer Scheckkarte. Lesen können wir nur die Zahlen. Oben steht das Geburtsdatum darunter fett der Name und in der letzten Zeile Zahlen wie 1,5 und 12, oder 4,5 oder 45, 78 oder auch mal 6400. Es bedeuten die Schulden die sie bei jemandem haben und diese öffentlich Machung soll eine Strafe sein. Ihre Adresse steht auch drin.

Der Ausflug zu Maos Herkunftsdorf war sehr romantisch. Alte Häuser in denen alte Menschen wohnen, die vor ihren Häusern Eier, Kartoffelstärke? und anderes Trockenes verkaufen, Touristengruppen mit Führen, die alle gleichzeitig in ihre Mikrophone sprechen und sich mit mir fotographieren lassen wollen.

Ich habe mir zum Schluss an einem der Stände eine Holzspieluhr mit einer kakophonen Unmelodie gekauft. Pling Pläng Pling Plong Pläng. Ein Panzer der sich dazu dreht. Irgendwie schrecklich dass ich das gemacht habe. Was soll ich damit jetzt nur?
