
Das beste Wetter für einen Besuch in einem botanischen Garten ist immer ein kleiner Nieselregen.
Nichts schlimmer als sich über Rosenbeete und Heilpflanzen bei erbarmungslosem Sonnenschein zu beugen, ganz abgesehen davon die geschwungenen auf- und abwärts führenden Wegeverläufe würdigen zu wollen. Und dann noch das Tropenhaus bei sengender Hitze zu betreten. Nein, ideal ist die feinste Form von möglicher Diffusion des Regens mit einem Schirm ausgestattet bei 23°-28°C zu begegnen.

Wir hatten diesen Idealfall und teilten ihn mit einigen romantischen Pärchen und jugendlichen Grüppchen. Ein schöner Ausflug an einem freien Tag. Drachenbootfest. Findet wirklich spektakulär in Hangzhu statt, nicht mehr in Shanghai. Sicherheit.

Auf einer großen Standtafel konnten wir markante Punkte ausmachen, aber nicht was uns dort erwartete. Wir kauften die Tickets mit Eintritten zu allem.
Am Anfang Blumenareale mit Steinen, im Hintergrund Kühe aus bemaltem Stein,


ein Wald, Fluss und See, echte Männer fischten, Magnolien und Rosenquadrate mit krankheitsresistenten Dauerblühern in scheußlichen pinkgelbrot Tönen. Dazwischen immer wieder ein Stein aus dem Chopin oder Straußwalzer erklangen. Die berühmten Klangsteine. Soll die Pflanzen besser wachsen und gedeihen lassen. Die Vögel in den Baumwipfeln darüber konnten aber selbstbewusst dagegen halten. Ein Tordurchgang führte zu einem Innenhof und weiteren Gebäuden und überdachten Gängen. Eine historische Villa vermutlich.Einzelne Räume durch Glasscheiben und filigrane Holzrahmen unterteilt, aber einsehbar.

Porzellan, Steinarbeiten, verblichene Fotovergrößerungen von Männern an Schreibtischen, die Geschichte des botanischen Gartens. In die Hausanlage integriert ein kleiner Fluss und Wasserfall. In einem Raum sitzen echte Leute und essen. Aufsichtsleute. Es gibt mehrere Tische, wie in einem europäischen Restaurant. Wir gehen weiter zum Tropenhaus.

Dort ist es drinnen ein paar Grad kälter als draußen. Nach Abgeben der Regenschirme am Eingang betreten wir den tropischen Dschungel. Rechts und links Lianen und Bananen und weiter hinten zahllose Orchideen in Stufen übersichtlich dargeboten. In der Mitte vor uns zwei junge Mädchen, die en Spiel anbieten. Bunte Ringe sind über am Boden liegende noch buntere Hütchen zu werfen.

Mit großer Begeisterung wird das Angebot zum Drachenbootfesttag von allen Erwachsenen angenommen. Wir werden angesprochen teilzunehmen. Ich treffe ein Hütchen. Von fünf Würfen! Klaus zwei. Ist gar nicht so einfach. Dann dürfen wir aus einer durchsichtigen Box drei Zettel ziehen. Auf dem ersten steht, dass ich an diesem Drachenfesttag besonders glücklich sein werde. Mit den beiden anderen Zetteln habe ich je ein Samentütchen gewonnen. Ich kann unter drei Sorten wählen. Ich nehme Löwenmäulchen. Daneben noch ein Tisch mit Untertassen auf denen verschiedene getrocknete Kräuter mit chinesischem und lateinischem Bezeichnungsschild aufgebaut sind. In einem kleinen Stofftäschchen mit Reißverschluss sammelt man die Sorten hinein, die für seine Gesundheit wichtig sind, Reißverschluss zu und jetzt immer am Körper tragen. Mein Spielfilmberater findet es riecht stechend, wie aus dem Halsschmuck, den Mia Farrow in Rosemarys Baby immer um den Hals tragen musste. Außer Bekanntem wie Artimisia, Fenchel, Minze ist auch etwas gegen böse Geister dabei, was wir trotz lateinischer Namensbezeichnung nicht identifizieren konnten. Ist bestimmt sehr gut, es auch zu nehmen.

Die intensive jahrtausende lange Beschäftigung mit Pflanzen und Bewahrung des Wissens bewundere ich hier sehr. Die Fußreflexzonenmassage dagegen halte ich für eine zwanghafte Analogiensuche. Wie unten so oben. Nervenverbindungen ja, aber Meridiane? Noch fehlt mir ein Beweis in Eigenerfahrung. Neulich hatte ich Muskelkater nach 395 Treppenstufen rauf und runter. Nach der Fußmassage tat alles 4x so schlimm weh.

Auf dem Weg zu einem der vier Ausgänge betreten wir noch ein Extra unseres Tickets. Eine durch Weinspaliere untergliederte Außenanlage. In jedem „Raum“ befinden sich Steinpodeste mit den irrwitzigsten Bonsaiexemplaren. Also eine Bonsaisammlung. Wer so etwas schon mal gezogen hat weiß welche Kostbarkeiten wir hier zu sehen bekamen. Niedrigste Schalen mit dicken, gesunden Stämmen in Nadel und Laubsorten. Schön, aber auch unheimlich, wie hier gnadenlos in die Natur eingegriffen wird. Nichts soll so bleiben wie es ist. Bäume werden mit Tuch umwickelt und einem Strick dieses festgezurrt, wahrscheinlich damit am Stamm unten nichts austreibt. Aber es sieht schon gewalttätig aus. Drumherum dann noch Stangen, die mit Draht am Stamm befestigt werden, dann wächst er schön gerade. Der Mensch soll eben sichtbar sein in diesem ganzen Gestutze und Getrimme.

In einem kleinem Geschäft sehe ich zum ersten Mal lauter Baumwollkleider festerer Qualität, alle in blau/weiß. Ältere Frauen beraten. Die Kundinnen, Individualistinnen in robusten Hosen und Kleidern.
Vielleicht eine Frauenkooperative. Ich kaufe zwei Kleider und einen Rock. Die blau/weißen Muster sehen wie Stempel aus. Traditionelle Muster wie ich sie von Japan kenne.
Wenn ich sie trage falle ich irritierend auf, obwohl kniebedeckt und locker zu groß. Einmal ist bei unserer Ausgehtruppe eine Studentin dabei. Sie sagt, was ich anhabe hatte ihre Oma immer an. Sie findet es schön, aber nicht an ihr selber. Vermutlich wirken diese Kleider im Straßenbild wie historische Kostüme. Eine Schneiderin in Jiangshan ist richtig gut und hat Klaus weite Hosen für die heiße Jahreszeit genäht. Sie sucht nach dem Etikett in meinem Rock. Ah, ja, natürlich! Fengdie! Wissend wird mit dem Kopf allerseitens genickt. Auch meine weiße Kurzarmbluse, Armani Collizione, wegen des Stretchanteils in der Baumwolle vor allem, wird anerkennend in alle Richtungen gedehnt. Gern wüsste ich mehr. Trage ich etwas aus Vorrevolutionärer Zeit, also vor 1911? Oder aus Zeiten der Kulturrevolution? „Tragt unsere alten Muster aus dem Volk. Weg mit den westlichen Verirrungen“ Der Mann aus der arbeitenden Bevölkerung an meiner Seite trägt jedenfalls den Anzug des großen Vorsitzenden. Nach der Arbeit.
Die Studentin selber trägt einen rosa Nylon Babydoll mit schönem Volant am Saum, Spitze am Ausschnitt, in Taillenhöhe eine Schleife, auf der Schulter Glitzersteine, hinten dafür nur an der Schulterpasse angekraust. Ach ja, und dazu Jeans, abgeschnitten mit Glitzernieten, ausgefranst natürlich und sehr kurz. Die Oberschenkel scheinen das Dekolletee der Chinesin zu sein.

Manche sagen Kitsch, junge chinesische Frau, manche Trash, alter amerikanischer Journalist in Shanghai, zu diesem Kleidungsstil. Das ist zu kurz und lieblos in Worte gefasst, was mir sehr viel mehr Bedeutung zu haben scheint. Schon morgens mit einem Cocktailkleid zur Arbeit oder zur Uni gehen , drückt doch sehr viel Wunsch nach Festlichkeit aus, also:
Celebrate life. Was kann daran schlimmes sein.
Kleider haben oft einen Häkelkragen, der an outfits von chinesischen Celebrities der 40er Jahre erinnert. Es gab Sängerinnen, Schauspielerinnen mit westlichem touch. Daran wird angeknüpft.
Frauen ab 60 tragen immer noch gerne die schwarzen Hosen und bunten Blusen darüber. Dazu die progressive Frisur der 20er Jahre. Lotte Lenya, Claire Waldorf. Seitenscheitel, stumpf bis zum Kinn. Manchmal sieht man auch noch die jungen Mädchen aus den 40ern und 50ern, mit zwei Zöpfen hinter den Ohren. Jetzt 90 Jahre alt und die Zöpfe sind weiß
Jiangshan ist noch stärker überaltert als anderswo. Die Jugend zieht weg.
Wie alle Hotelangestellten, die wir ein klein wenig näher kennen gelernt haben.