Spielt jemand auch NinJump?Ich hab keinen Favoriten bei den vier Möglichkeiten Castle, Jungle, Pirates und Classic. Sind alle zu schnell. Also Classic. Wenn ich morgens erst nach der Frühstückszeit laufe, allerdings schon noch waagerecht, nicht vertikal wie der kleine runner, mit neuen Herren-Bermudas in XL aus einem Sportgeschäft, das ausschließlich, das Label PEAK führt und Laufschuhen aus dem Sportbekleidungsgeschäft, das ausschließlich das Label DeerWay führt, komme ich mir genauso wie der kleine Ninjumper vor. Ohne Karambolage bis jetzt.
Auf der Uferpromenade richten sich die Angler mit ihren Ruten für einige Stunden ein. Manche haben drei, manche acht Angeln stehen. Die werden perfekt nach irgendeinem System aufgestellt. Alle haben Strohhüte auf. Und dann sitzt der Angler etwas abseits im Schatten, manchmal steht er neben seinen Angeln und guckt ins Wasser ob sich nicht doch schon was tut. In den Eimern ist auch mal eine Schildkröte zu sehen. Und ich laufe mal nach rechts, mal nach links, den Eimern und Anglern ausweichend. Mal stehen sie alle auf der einen Seite des Flusses, mal alle auf der anderen. Und wer sagt ihnen das eigentlich wann wo? Na, Sonne, Mond und Sterne sagen das.
Auf der Seite des Flusses zur Stadt ist unterhalb der Promenade ein Grünstreifen so abwechslungsreich angelegt, dass man meint, man laufe durch einen Park, obwohl er nur 20 Meter breit ist. Gewundene Wege, unterbrochen von Sitzgruppen, hohen und niedrigen Bäumen, Pavillons, Trimmgeräte, Blumenrabatten, freie Plattenfläche, offene Halle. Alles schön schattig. Aus den Bäumen hängen an unsichtbaren Spinnfäden kleine Raupen und verfangene Blätter. Manche Leute ducken sich, ich habe heute meinen Sonnenschirm dabei, der mir die Luft frei wischt. Die Luft ist schon um 8 eine warme Molle. In Jiangshan ist es tendenziell etwas wärmer als in Shanghai, aber auch windiger. Gerne hält man sich abends auf der Brücke auf, um den Luftstrom zu genießen. Manche sogar mit ihrem Tisch und Stuhl um Karten zu spielen. Oder man sitzt auf den 1x1 großen Marmorsockeln, die wie kleine Tische, oder große Hocker aussehen. In deren Mitte ist ein Metallrost und darunter sieht man eine Hallogengaslampe, abgedeckt von einer durchsichtigen Scheibe. Auf jeder Seite 28 Stück. Sollen die Brücke von unten beleuchten. Sind aber nie an. Wahrscheinlich kaputt. Aber als Sitzgelegenheit und come-together-point wirklich gut.
Autos halten, die Fahrer steigen aus, treffen andere Fahrer, quatschen, lassen die Türen weit aufstehen, kaufen eine Wassermelone.
Und das alles mitten auf einer Brücke! Fünfspurig, plus Bürgersteig. Also es funktioniert.
Bettler, Null. Wenn man mal von dem alten Mann absieht, der ausgestreckt, mit dem Bauch auf der Erde vor dem Markt ein Schüsselchen mit ausgestreckten Armen vor sich herschiebend, lang kroch. Sauber angezogen, Gummistiefelchen an. Die Leute guckten eher überrascht, neugierig als mitleidig. So dünn wie die meisten hier immer noch sind, mit Pizza Hut und KFC wird sich das wohl, wie auch in Japan schon geschehen bald ändern, verhungert man wohl eher, als um Nahrung zu bitten. Er sah aus als ob er kurz davor wäre, der alte Mann. Einen jungen Mann ganz nackt, sah ich heute die Strasse langsam hinkend queren. Er wurde nicht beachtet. In Shanghai ist das natürlich anders. Da sieht man immer mal alte Männer die Abfallkörbe inspizieren und mit Genugtuung ein Essensrestebeutelchen einstecken.
Bis jetzt habe ich ca. drei verschiedene zerlumpte Gestalten hier gesehen, die aber nicht betteln. Männer mit noch nicht grauen verfilzten Haaren, die eher psychologisch ausgestiegen sind. Vor sich hin brabbeln und allen ausweichen. Heute morgen kam einer in einem zerfetzten Mantel in der Hand eine Einkaufstasche aus der leere Plastikdosen ragten, in das Selbstbedienungslokal, wo ich manchmal Reissuppe und Glasnudelsalat zum Frühstück nach dem Laufen esse und nahm sich einen angebissenen Hefeklops von einem noch nicht weggeräumten Tablett. Niemand beachtet ihn und es war auch eine Sekundenaktion an einem Tisch gleich an der Tür.
Die Leute kennen sich untereinander. Die soziale Kontrolle ist dadurch immens. Wie aber auch die Lust an Provokation und Grenzüberschreitung in kleinen Bereichen. Zu kleinen jedenfalls, um gleich dafür in den Knast zu wandern, ein Verkehrsunfall reicht dafür nämlich schon.
Unmittelbar vor dem Eingang des Hotels steht eine No Smoking Tafel. Langer chinesischer Text. Rote Schrift auf Gelb. In der Eingangshalle gleich noch mal, wie auch vor den Aufzügen, auf dem Rezeptionstresen, dem Tisch vor der Ledergarnitur in der Lounge. Manchmal kommt ein Gast herein, sieht auf das Schild, stutzt, geht weiter, bleibt stehen und holt sich eine Schachtel Zigaretten aus Tasche oder Hemd, bleibt wie zufällig vor dem zweiten Schild in der Lobby stehen und zündet sich eine Zigarette an. Manche sitzen an der Rezeption und aschen lässig neben sich. Da ist wenigstens noch Marmorboden. Manche rauchen im Fahrstuhl, oder im Zimmer und lassen die Tür zum Gang sperrangelweit offen zum lüften. Oder damit alle sehen, dass solche Verbote für sie nicht gelten. In den Fluren liegt Zentimeter hoher Teppichboden auch da geht schon mal jemand mit Zigarette durch und ascht auf den Teppichboden. Niemand vom Hotelservice sagt was dazu. Ich hab mal die Augenbrauen hochgezogen als ich durch die Qualmschwaden auf meiner Etage ging und einer Frau vom housekeeping begegnete. Sie nickte und lachte. Ich hab dann noch mal mit den Schultern gezuckt und meine Stirn in Falten gelegt, worauf sich ihr Lachen so verstärkte, dass sie sich die Hand vor den Mund halten musste.
Im Untersuchungszimmer des Amtsarztes in Jinhua sitzen wir neben dem Schreibtisch und warten auf die Übersetzungen unserer Dolmetscherin, die vor dem Arztschreibtisch steht und dem Arzt zuhört. Während den Ausführungen des Arztes bekommt er einen Anruf der gut 10 Minuten dauern wird. In dieser ganzen Zeit versucht die Dolmetscherin eine der Papiere, die vor dem Arzt liegen wegzuziehen. Sie zupft an einer Ecke des untersten Blattes. Er streicht wie zufällig über alle Blätter. Sie zieht sich zurück. Dann wieder ein Vorstoß während er mit seiner Brille rumfuchtelt ganz langsam an einem Blatt zu ziehen. Er im letzten Moment mit dem kleinen Finger genau nur dieses Blatt fixierend, - während er spricht und spricht und weiter spricht.
Sie versucht es immer und immer wieder ein Blatt herauszuziehen. Die Abwehr des Arztes wirkt bei keiner seiner Stopps wie eine persönliche Absage an ihren Willen. In meiner Kultur hätte der Arzt sein Gespräch unterbrochen und sie zur Rede gestellt, oder sie gebeten seine Unterlagen in Ruhe zu lassen. Ich war kurz davor ihr zu sagen draußen zu warten. Aber es war auch zu spannend um einzugreifen. Wie wurde so was geregelt?
Der Arzt war jedenfalls die ganze Zeit trotz Telefonats hochkonzentriert, weder sie gewähren, noch eine Befassung mit diesem Anliegen, geschweige denn Anstrengung in ihre Richtung sichtbar werden zu lassen.
Und wie gings aus? Tja, nach dem er sein Gespräch zu Ende geführt hatte, äußerte er einen Verdacht auf Tuberkulose, dem unverzüglich in der Stadtklinik nachgegangen werden müsste. Sonst kann das Unbedenklichkeitsgesundheitszeugnis für Ausländer nicht ausgestellt werden.
Dieser Test wird sehr oft bei Ausländern, wegen angeblicher Symptome anberaumt wie ich hörte.
So hatten wir noch einen Nachmittag im schönen Jinhua zu verbringen. Mit Stadtmauerresten und Tempelanlage. Und natürlich Mittagessen.
I
I